Tango Kolumne
Grenze des Tangos
EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 34 DER REIHE VON LEA MARTIN
Tango ist unsterblich. Und hochempfindlich. Er hat ein Limit, das nicht überschritten werden kann. Der letzte Tango markiert diese Grenze und so ist kein Zufall, dass dies Motiv die Filme und Literatur über den Tango durchzieht, vom Letzten Tango in Paris (1972) bis zu Un tango mas (2015). Die Grenze des Tangos ist das Ende von Sehnsucht, von Anziehung, Neugier und Geheimnis.
Der wunderbare Film Un tango mas („Ein Tango mehr“ oder „Noch ein Tango“) erzählt die authentische Geschichte von María Nieves und Juan Carlos Copes, die 50 Jahre lang ein Tanz- und Liebespaar waren und mit ihrem Tango die Bühnen der Welt eroberten. Ihrem letzten Bühnen-Auftritt meint man das Drama anzusehen, das ihm vorausging, was aber daran liegen kann, dass ihre Art zu tanzen sich drastisch von der modernen unterscheidet. Für Un tango mas das heute 81 und 84 Jahre alte Paar in einer dramatischen Inszenierung noch einmal die Bühne, doch nur, um sich wortlos gegenüber zu stehen und wieder auseinander zu gehen. Was ist geschehen?!
Was hat die beiden großen Tänzer entzweit, so dass er nur noch mit seiner Tochter tanzt, sie mit wechselnden Partnern?! Die Antwort wird im Film von jungen Schauspieler/inne/n gesucht, die sich mit Interview, Kamera und Rollenspiel respektvoll einer Geschichte nähern, die immer die Geschichte der Protagonisten bleibt. Es gab, irgendwann, eine andere Frau, mit der Juan Carlos Copes Kinder bekam. Es gab Betrug, Trennung, Eifersucht und ein Ultimatum der Kindesmutter: Tango mit Maria oder ich. Dass der große Tangokönig sich dem beugt, ist der Schlüssel zum Verständnis eines Paars, das Tango Argentino weltweit salonfähig machten. Die aus ärmsten Verhältnissen stammende María Nieves sorgt zeitlebens für ihre Herkunfts-Familie. Und der große Juan Carlos Copes verlässt seine Traum-Tanzpartnerin, weil er Vater und Ehemann ist.Der Film tanzt Tango mit diesem Motiv, stellt es vor. Und lässt andere Lesarten offen. Danach befragt zählt María Nieves zu den Emotionen, die sie bei ihrem letzten Tango bewegten, auch Hass. Auf Fotos suchen die jungen Schauspieler/ innen im Film nach Spuren der Unversöhnlichkeit auf den Gesichtern und in der Haltung des Paars, dessen Tanz beeindruckend rasant, aber auch unnahbar wirkt, beinahe hart. Ein Tango der Unversöhnlichkeit ist ein Tango zu viel. Denn Tango verbindet. Und funktioniert nur, wenn zwei Menschen sich einander öffnen: mindestens für eine Umarmung, ein Lied.
"Grenze des Tangos" aus „Tango Dreams“
Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2017
Foto: tangokultur.info​