Tango Kolumne
Gute Tänzer,
schlechte Tänzer
EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 76 DER REIHE VON LEA MARTIN
Wenn die Wellenlänge stimmt, ist Tango wie Segelfliegen. Wenn nicht, kann es sich schon mal anfühlen wie ein Hubschrauber im Orkan. Was aber ist die Wellenlänge? Gibt es eine Formel dafür?
Die Wellenlänge beim Tango kann verschieden ausgeprägt sein. Mit dem einen Tänzer ist es vor allem die als angenehm empfundene Verbindung, die gleichzeitig Gestaltungsräume eröffnet, so dass jede gemeinsame Bewegung mühelos gelingt. Mit einem anderen ist der Kontakt so inspirierend, dass immer neue Bewegungen entstehen und der Fantasie keine Grenzen gesetzt zu sein scheinen. Und mit einem Dritten fühlt sich das Tanzen schwerelos an, als eröffne es eine spirtiuelle Dimension, in der die Musik sich wie ein Regenbogen in die Ewigkeit spannt und die Körper in einvernehmliche Trance verfallen.
Ein guter Tänzer nimmt Kontakt zu uns auf, schon bevor er den ersten Schritt führt, ja, er setzt mit uns einen Kontakt fort, den er zu sich selbst hat – und zu der (soeben einsetzenden) Musik. Die Kontaktaufnahme spiegelt wider, wer er ist, wohin er will. Wie der musikalische Tangohimmel vor inneren Bezügen glitzert, so bezieht sich auch jeder Tango, den wir tanzen, auf die Erfahrungen, die uns geprägt haben, und die Sehnsüchte, die uns erfüllen. Wir nehmen uns mit, in jeden einzelnen Tango, und je mehr wir uns dessen bewusst sind, desto besser können wir tanzen. Ein schlechter Tänzer versucht Bewegungen, Figuren und Dynamiken zu kopieren, und wenn das Tanzen nicht klappt, macht er gerne andere als sich selbst dafür verantwortlich. Ob jemand einen Ehrgeiz hat, der am Tango vorbei geht, oder ob er ganz bei sich, bei uns und der Musik ist, spüren wir an der Energie, die zwischen uns fließt – oder stockt. Damit sich Tango fließend anfühlt, müssen sich nicht nur zwei Körper blendend verstehen, sondern auch zwei Seelen in Einklang schwingen. Tango beginnt zu zweit. Der beste Tanzpartner ist derjenige, dessen zwei Füße unsere ergänzen, als wüssten sie besser als wir, wohin wir wollen. Die beste Wellenlänge ist diejenige, die uns über unsere eigene Beschränktheit hinaus trägt. Wie das zustande kommt, hat etwas mit ähnlichem Energielevel zu tun, ähnlicher Musikalität, ähnlicher Leidenschaft und ähnlichem Bewegungsspektrum. Weshalb sich gemeinsames Tanzen manchmal wie Stolpern und manchmal wie Fliegen anfühlt, ist ein Thema, über das sich trefflich philosophieren lässt und doch bleibt es letztlich ein Rätsel, ähnlich groß wie das der Liebe.
"Gute Tänzer, schlechte Tänzer" aus „Tango Dreams“
Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2019
Foto: tango-argentino-online.com