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Tango Kolumne
Hingabe im Tango

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 52 DER REIHE VON LEA MARTIN

Tangokolumne: Hingabe im Tango

Klar denkt man beim Tango schon auch mal an Sex. Studien zufolge denken Frauen ungefähr alle 60 Minuten an Sex, Männer etwa doppelt so oft. Wer Tango tanzt, komprimiert diese Gedanken. Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass so viele Frauen auf Tango-Affairen aus sind, wie Männer behaupten. Ihre Augen leuchten, wenn sie davon erzählen. Ich stelle mir vor, wie das ist mit den Tango-Affairen. Da sitzen dann auf der nächsten Milonga, zwei, drei, vier Tangueros, mit denen man heiße Nächte verbracht hat und die man nun wie alte Bekannte grüßt. Oder schaut man - etwas verlegen - an ihnen vorbei? Fallen sie zurück in den Pool der Fremden, denen man drei Minuten Tango-Hingabe schenkt? Überhaupt dies große Wort von der Hingabe, die wir verströmen, um sie dann wieder einzusammeln. Wie cool wäre das. Sich hingeben, aufstehen und gehen. Leichthin wie eine, die dafür bezahlt wird. Und sich also nicht hingibt. Wer sich hingibt, verbindet sich mit der Sache oder dem Menschen, dem die Hingabe gilt. Wenn keine Verbindung entsteht, ist es keine Hingabe. So jedenfalls sehe ich das. Viermal drei Minuten Tango erzeugt, auch wenn die tänzerische Harmonie noch so vollendet ist, keine Verbindung, die über diese viermal drei Minuten hinausgeht.

Viele Menschen verbringen ihre gesamte Freizeit beim Tango. Diese Leidenschaft verbindet sie mit anderen Menschen, die - sagen wir - ihre gesamte Freizeit auf dem Fußballplatz verbringen. Auch sie betreiben ihr Hobby mit leidenschaftlicher Hingabe. In Bezug auf Tango erhält der Begriff der Leidenschaft dank seiner Herkunft aus dem Rotlicht-Milieu eine besondere Note. Wer Tango Argentino tanzt, profitiert vom Flair einer Verruchtheit, ohne selbst verrucht sein zu müssen. Bei aller gern beschriebenen Hingabe an einen Fremden stehen wir gleichwohl auf dem Parkett mit unserem (unbeholfenen) Körper, unserem (selbstbewussten) Herzen und der persönlichen Freiheit zu entscheiden, wie viel - oder wie wenig - wir von uns zeigen. Wie weit wir uns öffnen. Wie weit wir gehen. Wer Tango tanzt, erlebt sinnliche Nähe, körperliche Berührung, vor allem aber Spaß am gemeinsamen Tanz zu einer Musik, die unter die Haut geht. Hingabe setzt für mich eine Entscheidung voraus, die ich Fremden gegenüber nicht treffe. Tango spielt mit dem Gedanken an Hingabe wie eine Affaire mit dem Gedanken an Liebe spielt. Die Tangotanzpartner kommen und gehen, weil sie - bei aller momentweisen Intensität - gleichgültig sind. Die wirkliche Hingabe im Tango gilt der Musik.

 

 

"Hingabe im Tango" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2018
Foto: tangokultur.info

 

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