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Tango Kolumne
Kennen wir uns?

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 54 DER REIHE VON LEA MARTIN

Tanfgo-Kolumne: Kennen wir uns?

Tango ist verwirrend. Doch langsam finde ich mich zurecht. Ich habe verstanden, dass man sich („kennen wir uns?“) mal kennt und mal nicht. Das Spiel mit der Anonymität hat Vorteile. Man kann sich ausprobieren und muss nicht befürchten, demaskiert zu werden. Auch wenn man sich näher war, kann man einander (wieder)begegnen, ohne sich bekennen zu müssen. War da was? Nobody knows. In Buenos Aires soll die Regel gelten, wer mehr als eine Tanda (also drei vier Tangos) miteinander tanzt, landet im Bett. Daran gemessen ist in Berlin ganz schön was los.

 

Meine Lieblings-Tangoregel ist die, nach der ich mit Eric ausgehe. Er ist blutiger Anfänger, wir sind kein gutes Team auf dem Parkett. Anfangs haben wir uns bei Milongas höflich gequält, weil wir dachten, wenn man gemeinsam hingeht, muss man auch beieinander sitzen. Doch wer zu zweit aneinander klebt, wird eher selten von Dritten aufgefordert. So kamen wir auf die Idee, unsere persönliche Milonga-Regel zu entwickeln: Gemeinsam hin und zurück, dazwischen tanzt jeder, mit wem er will. Beim ersten Mal war es seltsam, so zu tun, als seien wir einander fremd. Inzwischen genieße ich das Gefühl. Eric geht seiner Wege, ich meiner. Gelegentlich kreuzen sich unsere Blicke. Manchmal bringt er mir unauffällig ein Getränk. Oder macht mir ein Kompliment. Dann tanze ich noch einen Tick schwungvoller und freue mich, dass ich es sein werde, die von diesem Mann, der sich über mangelndes Interesse nicht beklagen kann, nach Hause gefahren wird. Obwohl er noch unbeholfen tanzt, findet Eric meist rasch eine Tanzpartnerin, sei es wegen des Frauenüberschusses oder weil er ein netter Kerl ist. Wenn ich ihn sehe, freue ich mich, dass er Spaß hat. Und bin froh, nicht auf ihn angewiesen zu sein.

 

Natürlich gehört ein gewisses Selbstvertrauen dazu, die eigene Begleitung eng umschlungen tanzen zu sehen. Mein persönlicher Mister Inkognito allerdings gibt mir keinen Grund eifersüchtig zu sein. Er selbst sei gelegentlich schon ein bisschen eifersüchtig, gibt er zu. „Ein bisschen Eifersucht“, lächele ich, „kann ja nicht schaden.“ Tango verwirrt? Verwirrend ist der Spiegel, den er uns vorhält, weil er die Frage aufwirft, wie gut wir uns selbst kennen. Ich dachte lange, vor allem Sicherheit sei mir wichtig. Tatsächlich genieße ich auch meine persönliche Freiheit und habe Spaß daran mich auszuprobieren. Tango bietet dafür ein herrliches Terrain. 

 

 

"Kennen wir uns?" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2018
Foto: tangokultur.info

 

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