top of page

Tango Kolumne
Tangopause

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 15 DER REIHE VON LEA MARTIN

Eine Grippe streckt mich nieder. Tango hat also Pause, ich liege im Bett und entschädige mich durch ein Büchlein. Tango fatal. Auf dem Umschlag sind tanzende Beine zu sehen, er in langen Hosen, sie in schwarz-weißen Pumps. Das Büchlein verspricht Geschichten vom Tanz der Leidenschaft, die sich als Auszüge aus Prosawerken entpuppen. Da gibt es rauhbeinige Männer-Geschichten, in denen die beste Tänzerin als sensible Stute gilt, die spürt, was einer will. Und es gibt melancholische Erzählungen, die sich um Sehnsucht und Trauer drehen, um stilles Begehren und die Erfüllung beim Tango. By the way lerne ich (endlich) den legendären Tango-Sänger Carlos Gardel kennen, dessen Mi noche triste 1917 den Beginn des gesungenen Tangolieds markiert, erhalte Einblick in verschiedene Tango-Milieus und lausche Tango-Philosophien:

​

„Kein Tanz hat jemals in der westlichen Welt eine so leidenschaftliche Ablehnung und heftige Ängste ausgelöst wie der Tango. Und warum? Doch nicht, weil es den Weibern dabei an die Röcke geht.“ „Warum denn sonst?“ „Weil Tango die herkömmliche weiße Männerrolle unterminiert. Der Mann wird weiblich. Er hockt sich hin und jammert und schluchzt wie ein Weibsbild. Hör dir mal die Texte an. In acht von zehn Tangos schluchzt der Mann der Frau hinterher.“

​

Ich schmunzele. Denn ja, gelegentlich höre auch ich, wie meine (preußische) Großmutter die Sänger anzischen würde: Nun reißt euch mal zusammen. Der Tango lebt von einer gewissen Wollust am Leiden, die die kühle Ästhetik des sachlichen Apple-Zeitalters hemmungslos aufmischt.

​

„Warum wird Tango ausgerechnet in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederbelebt? Keine Idee?“

​

„Wegen des Feminismus natürlich. Plötzlich ist die Frau wieder rar geworden. Sie gewinnt gegen Ende des Jahrhunderts im Geschlechterkrieg endlich mal wieder kurz die Oberhand und kastriert das Männchen. Sie geht arbeiten, kriegt allein ihre Kinder, wehrt sich gegen unerwünschten Sex und so weiter. Und die Männer entdecken den Tango.“

​

Die Männer entdecken den Tang0...?! Und die Frauen...?
„Wo der Tango herkommt, da werden Frauen nicht verführt, sondern genommen. Und Schluss.“

​

Und Schluss...?! Meine Lebensgeister erwachen. Sobald die nächste Anti- Grippe-Schlafrunde hinter mir liegt, werde ich erklären, wie ich das sehe, mit dem Tango, dem Genommenwerden und dem Verführen. 

 

 

"Tangopause" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2015
Foto: tangokultur.info
​

 

>>zurück zur Rubrik "Tango-Kolumne"

 
Linktipp:
​
bottom of page