Tango Kolumne
Mein Tango, dein Tango
EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 51 DER REIHE VON LEA MARTIN
„Von den Deutschen lerne ich Bier, keinen Tango.“ Der das sagt, lebt seit 25 Jahren in Berlin. Er ist leicht erregbar, impulsiv. Ein klassischer Südländer. Das Tanzen, meint er, liegt in den Genen, im Blut. Ist das so? Können bestimmte Völker besser als andere tanzen? Legen der brasilianische Hüftschwung und der argentinische Tango Zeugnis davon ab, während sich die Deutschen als Volk der Dichter und Denker krampfhaft, aber vergeblich bemühen, auch nur annähernd so viel Feuer in ihre Bewegungen zu transportieren wie die echten Tangotänzer mit dem richtigen Blut? Ich bin kein Fan von Blut-Theorien, auch nicht in Hinblick auf argentinischen Tango. Eher halte ich es mit der Botschaft des 2011 uraufgeführten Theaterstücks „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulet, das im Berliner Maxim-Gorki-Theater mit Revolver und Reclamheft von gebrochenen Identitäten erzählt, die Aufklärung brauchen, um sich selbst zu verstehen.
Über die Macht kultureller Prägungen muss man nicht streiten. Doch was bedeutet sie für meinen, deinen, unseren Tango? „Ihr habt den Tango getötet“, soll ein argentinischer Tango-Meister beim Besuch einer deutschen Milonga gestöhnt haben. Er hat nicht Susanne Opitz und Rafael Busch gesehen, die dem Tangotanzenmachtschön seinen märchenhaften Namen gegeben haben, nicht Sebastian Tokcz und Chantal Imboden aus dem nach Schweizer Art entspannten Art.13 oder Judith Preuss, die das quicklebendige Schöneberger Mala Junta leitet. Sie alle tanzen einen Tango, bei dessen Anblick den Zuschauern das Herz aufgeht, und wenn Zeus den Apfel vergeben sollte, wer am schönsten tanzt, er täte sich schwer. Insbesondere das rollenoffene Tanzen, auch Queertango genannt, das im Kreuzberger bebop beheimatet ist, hat seinen Ursprung nicht in Argentinien, sondern in Hamburg, wo im Jahr 2000 das weltweit erste Queertangofestival stattfand. Erst viele Jahre später zogen auch die Argentinier/innen nach, die den Tango exportiert haben und nun erleben, dass andere ihn nachmachen, verwandeln, inspirieren. Tango, wie ich ihn sehe, gehört keinem Land, keiner Nation, sondern denen, die ihn lieben, leben und tanzen, egal, welcher Herkunft sie sind. Die Leidenschaft der vielen Tänzer/innen, die sich weltweit mit dem argentinischen Tango verbinden, hat zwar wie jede Bewegung eine traditionalistische Gegenbewegung auf den Plan gerufen, doch so laut beide Strömungen zuweilen streiten mögen, werden sie beide von Menschen geprägt, denen Tango mehr bedeutet als Bier.
"Mein Tango, dein Tango" aus „Tango Dreams“
Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2018
Foto: tangokultur.info