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Tango Kolumne
Tango de amor

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 27 DER REIHE VON LEA MARTIN

Wenn das Leben Tango mit Dir tanzt

An der Salontür meiner Friseurin hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Tango de amor“, das für eine Show wirbt. Doch wo immer sie gezeigt wird, ich will sie nicht sehen. Mein Liebestango ist gestorben.

Tango, von Liebenden getanzt, ist anders als Tango, bei dem sich Fremde begegnen. Dazwischen gibt es den Tango unter Freunden. Oder Ex-Partnern. Bei manchen Paaren glaube ich zu sehen, dass sie ein Liebespaar waren und sich tanzend daran erinnern. Bei anderen ist die Intimität so undurchdringlich, dass unvorstellbar ist, sie könnten je mit einem Dritten tanzen. Tango kann getanzte Liebe sein. Doch wenn die Liebe ein Gefängnis wird, bricht der Tango aus. Er passt in kein Gefängnis. Obwohl es einen Film darüber gibt, wie Häftlinge im Knast Tango lernen. Tango Libre (2013). Der im wirklichen Leben berühmte moderne argentinische Tangotänzer Mariano „Chico“ Frumboli lehrt die wegen schwerer Verbrechen verurteilten Männer den Tango und gibt ihnen damit ein Instrument, um ihre Sehnsucht, ihre Energie, ihre Sinnlichkeit und ihren Stolz zu tanzen. Er schenkt ihnen Momente der Freiheit.

Die (alleinerziehende) Heldin in Tango Libre pendelt mit verzweifelter Leichtigkeit zwischen ihrem inhaftierten Gatten, dem ebenso inhaftierten Ge- liebten und dem (einzig freien) Gefängniswärter, den sie zufällig im Tangokurs trifft. Die Konstellation entzieht sich jeder moralischen Betrachtung. Tango ist unmoralisch. Er ermöglicht, der Sehnsucht nach Nähe, nach gegenseitiger Unterstützung, nach Sex körperlichen Ausdruck zu verleihen. Und der Wunsch des (inhaftierten) Helden, seine Frau möge mit ihm Tango tanzen, ist so menschlich wie ihr Bedürfnis, nicht zwanzig Jahre auf diesen Tanz zu warten.

Nur einen Menschen zu lieben, ist ein Ideal, das vom Leben wie oft zerfetzt wird. Mit nur einem (geliebten) Menschen zu tanzen erscheint erreichbarer und ist doch auch angreifbar. Mir jedenfalls ist die Lust auf Tango de amor gründlich vergangen. Wenn ich tanzen gehe, dann um abzuschalten. Ich kann Tango genießen, auch ohne dass eine andere Liebe im Spiel ist als die zu der wunder- baren Musik und dem Tanz, zu dem sie verführt. Diese Liebe hat ein längeres Haltbarkeitsdatum als die zwischen den meisten Menschen. Sie überlebt Generationen und Diktaturen, breitet sich weltweit aus, aufersteht in immer neuer Gestalt. Weil sie unsterblich ist. Wie der Schmerz um eine Liebe, die geht. 

 

 

"Tango de amor" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2017
Foto: tangokultur.info

 

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