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Tango Kolumne
Tango ist eine Raubkatze

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 69 DER REIHE VON LEA MARTIN

Kolumne Tango ist eine Raubkatze

Tango Argentino ist mehr als ein Tanz. Er ist Philosophie, Leidenschaft, eine Haltung zum Leben. Oder kann es jedenfalls sein. Meine Liebe zum Tango begann, als ich in Aufbruchstimmung war. Seine Schönheit, seine Gelassenheit, sein Temperament haben mich gepackt und ich folge ihm neugierig, fasziniert. Wer glaubt, Tango würze das Leben, hat sich geirrt. Tango ist nicht wie Pfeffer, sondern wie ein Vulkan. Er sprengt Überzeugungen in die Luft, wirbelt Lebenskonzepte durcheinander, stellt Dinge auf die Füße, macht spürbar, was ist. Es ist nicht wichtig, wie groß oder schwer jemand ist. Es ist nicht einmal wichtig, wie gut er oder sie tanzt. Der schönste Tango – erinnern Sie sich? – beginnt, wenn sich zwei Seelen tanzend berühren. Wer nun denkt, je näher Paare sich stünden, desto leichter der Tanz, wird enttäuscht. Je größer die Nähe, desto stärker die Energie, die vom Tango ablenkt. „Du machst das falsch!“, „Du musst das so machen!“ Die erbittertsten Vorwürfe werden unter Paaren getauscht, die vom Tango Leidenschaft wollen. Doch der Tango denkt nicht daran. Er ist kein Schoßhündchen, dass für ein Leckerli Pantoffeln anschleppt, sondern ein Tiger, der sich anschleicht, um – vielleicht, gelegentlich, momentweise – gebändigt zu werden. Keinesfalls wird er sich anleinen und dauerhaft domestizieren lassen. Auch wenn er sanft auftreten mag, ist Tango unberechenbar, wild. Diese Energie macht ihn aus.

 

Liebespaare verkennen schon mal die Macht, die von Tango Argentino ausgeht, und es kann dauern, bis sie verstehen, dass sie erst dann in ihn eintauchen werden, wenn sie aufhören, genau das zu wollen. Sie müssen einander loslassen, als Paar, um sich als Tanzpartner neu zu begegnen, und erst die Kraft, diesen Schritt zu tun, bringt sie tänzerisch weiter. Im Unterschied zu seinem alltäglichen Leben, wo er sich das vielleicht angewöhnt hat, wird ein Tanguero seiner Tanzpartnerin ganz sicher nicht, wenn ihm danach ist, schonungslos die Meinung sagen. Auch eine Tanguera wird den Mann, der sie führt, nicht kritisieren. Respektvoll werden sie sich gemeinsam darum bemühen, den Tango in ihren Körpern zu fühlen und Differenzen, die beim Üben sichtbar werden, außerhalb des Parketts klären. Für die Kunst, einander beides zu sein, Partner beim Üben und Tangotänzer auf dem Parkett, hilft es, sich bewusst zu machen, dass Tango eine Raubkatze ist, die zu zweit getanzt werden will, von vier Füßen, vier Armen, vor allem aber zwei Herzen, die sich als Team verstehen und einander verzeihen, wenn etwas nicht klappt.

 

 

"Tango ist eine Raubkatze" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2018
Foto: tango-argentino-online.com

 

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