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Tango Kolumne
Tango macht süchtig

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 57 DER REIHE VON LEA MARTIN

Kolumne Tango macht süchtig

Es ist eine stille, unauffällige Sucht. Die davon Befallenen sind allenfalls an dem verstohlenen Gähnen zu erkennen, mit dem sie am nächsten Morgen die Kollegen beehren. Tangonächte sind lang und haben hohes Suchtpotential.

 

Eine Sucht entschädigt für Dinge, die wir entbehren, und sie tut das so gut, dass wir ihr verfallen. Viele Tangotänzer/innen verbringen ihre komplette Freizeit auf dem Parkett. Tango ist ihr Leben. Ihr Leben heißt Tango, alles dreht sich um ihn. Sie kennen kein anderes Thema, sind von ihm beherrscht. Die Grenze zwischen Liebe, Leidenschaft und Obsession ist fließend und natürlich gibt es schlimmere Süchte als Tango. Doch auch der Tango vermag zu zerstören. Beziehungen. Selbstbilder. Lebensentwürfe. Er ist kein gefälliger Salontanz, sondern eine mühsam domestizierte Raubkatze, die sich jederzeit ihrer Herkunft besinnen und überraschend ausbrechen kann.

 

Unter dem Deckmantel des Tanzens kommen wir einander auf eine Art nah, die schon mal die Frage aufwerfen kann, wie wir es mit der Treue so halten. Natürlich werden alle, die ihre Beziehung oder zumindest ihr Selbstbild bewahren wollen, versichern, dass Tango nur ein Tanz ist und nichts mit Liebe zu tun hat. Klar kann man den Tango so tanzen. Man kann Lust an Leichtigkeit, an Spiel, an Experiment in Schubladen sperren zu einem Tanz, der starren Regeln folgt, die man selbst setzt. Der Tango, der süchtig macht, probiert sich aus und das heißt, er riskiert einen tänzerischen Kontakt, der vieles in den Schatten stellt, was unseren Alltag so prägt. Die Mischung aus schwebenden Bewegungen zu einer romantischen Musik, der Kerzenschein, das glatte Parkett, die anmutig gleitenden Paare, all das, was uns auf einer Milonga verzaubert, wird zu einem oftmals alles überstrahlenden Diamanten.

 

Auch mein Frühwarnsystem versagt gelegentlich kläglich. Tango entfesselt eine gewaltige Energie. Und er macht dünnhäutig. Man glaubt in Gott weiß wie verbundene Seelen zu schauen. Und ist ernüchtert, wenn sich die nächtliche Nähe bei Tageslicht als Täuschung der Sinne, als Fata Morgana entpuppt. Die Ernüchterung wird mit noch mehr Tango kompensiert, doch der Glanz des Tango bleibt flüchtig. Er strahlt, solange wir ihn tanzen. Leidenschaftlich, unverbindlich. Die Unverbindlichkeit ist der Nährboden für Sucht. Wer im Tango Nähe sucht, ist in Gefahr. Denn die Nähe im Tango ist ein Spiel, das keine echte Nähe ersetzt. Diese beginnt, wenn die Milongas vorbei sind.

 

 

"Tango macht süchtig" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2018
Foto: tangokultur.info

 

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