Kolumne
Tangokämpfer
EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: TEIL 2 DER REIHE "IN LOVE WITH TANGO" VON LEA MARTIN
Mit forschem Schritt kommt er auf mich zu und erinnert an Asterix aus dem unbezwingbaren gallischen Dorf, nicht nur wegen seiner optischen Erscheinung. Auch seine Energie scheint von einem Zaubertrank beflügelt. Er tanzt, als wolle er kämpfen. Nur: gegen wen? Seine Arme umfassen mich wie eine Rüstung und obwohl ich davon ausgehe, dass er es ritterlich meint, fühle ich mich weniger beschützt als vielmehr verloren. Die Rüstungsarme stehen um mich herum, ohne dass ich eine Chance habe, Kontakt herzustellen. Der Kontakt geht linear von Asterix aus, der mich mit seinen Schritten durchbohrt, wie er es möglicherweise von irgendeinem Lehrer empfohlen bekam. »Geh einfach durch sie hindurch«, das ist in Tangostunden schon mal zu hören, um auszudrücken, dass die Führenden sich auf den Horizont ihrer Schritte konzentrieren sollten, statt ängstlich vor der Folgenden abzubremsen. In dieser Gefahr steht Asterix nicht. Er will mir zeigen, dass er ein ganzer Führender ist, und vergisst, dass es darum nicht geht. Er muss mir nichts zeigen – außer sich selbst. Ich möchte, wenn ich tanze, den anderen spüren. Nur so kann der Tanz ein gemeinsamer sein.
Gefangen in den Ritterarmen torkele ich hinter seinen Schritten her, deren Wucht mich verstört. Wo ist der Ausgang aus diesem Korsett, das den Tango erkämpft, statt ihn zuzulassen? Schon nach einem Tanz bin ich völlig verspannt. Meine Schultern sind verkrampft, meine Arme fühlen sich an wie nach intensivem Muskeltraining. Asterix lacht dem nächsten Tango entgegen, und ich bringe es nicht über das Herz, ihn schon nach einem Tanz abzuservieren. Vermutlich legt er sich ins Zeug, um mir zu imponieren. Er ist ein Tangokämpfer, der uns durch die Tanzfläche boxt, als wäre er von Feinden umgeben. Mit lauten Bewegungen macht er mir klar, wo es lang geht. Sein Körper schreit mich an, als ob er meinen für begriffsstutzig hielte. Dabei bin ich kein Bollwerk, gegen das man ankämpfen muss, sondern willig zu tanzen. Nur nicht gerne so. Vermutlich ist dem Tangokämpfer nicht bewusst, wie er auf Folgende wirkt. Sein Asterix-Schnauzbart hängt enttäuscht nach unten, als ich mich nach dem zweiten Tanz höflich bedanke. »Hast du schon genug?«, fragt er und sieht mich traurig an. Ich überlege, ob ich antworten soll: »Lass einfach nächstes Mal den Zaubertrank weg.« Doch ich fürchte, Asterix würde mich nicht verstehen.
„Tangokämpfer“ aus "In Love With Tango"
Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2020
Foto: Aus dem Archiv von tango-argentino-online.com