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Tango Kolumne
Wie lange tanzt du schon?

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: Teil 44 DER REIHE VON LEA MARTIN

Tangokolumne: Wie lange tanzt du schon?

Die Frage suggeriert, je länger jemand tanzt, desto besser. Ist das wirklich so? Tango besteht nur vordergründig aus Ochos (getanzte Achten), Boleos (fliegen- des Bein) und Sacadas (Querschritte). Tatsächlich findet er im Inneren statt. Das ist der Grund, weshalb sich manch kunstvolle Schleudertechnik steril und manch Tango mit einem Anfänger wie eine Offenbarung anfühlt. Natürlich er- setzt Hingabe keine Tangotechnik. Doch Technik allein macht keinen Tango.

 

Monatelang war ich damit beschäftigt, die spielerisch wirkenden Ochos zu lernen, die sich in meinem Körper anfühlten wie quietschende Türangeln. Nicht zu denken an die fliegenden Beine, die ich nur bestaunen konnte. Mühsam arbeitete ich mich zu jener Leichtigkeit hin, die sich heute gelegentlich einstellt, wenn die Verbindung mit einem Tanzpartner stimmt. Stabil zu stehen, flexibel reagieren zu können, ein gewisses Repertoire an Bewegungsmöglichkeiten ist hilfreich. Doch resultiert der Genuss einer gelungenen Tango-Verbindung nicht aus diesen technischen Voraussetzungen. Ob sie sich schwebend oder energie- geladen anfühlt, dramatisch oder sanft, leidenschaftlich oder spielerisch, immer wird sie aus seelischen Haltungen resultieren, die sich im gemeinsamen Tango so schön anfühlen, dass man kaum aufhören mag.

 

Das Suchtpotenzial des Tangos liegt in dieser gelungenen Verbindung, die in einem Moment von drei Minuten eine seelische Nähe inszeniert, von der wir im restlichen Leben womöglich vergeblich träumen. Wie lange tanzt du schon? fragt nach einer Vergangenheit, die unwichtig ist in diesem Moment, da wir Tanzhaltung einnehmen, denn egal, wie lange wir schon tanzen und wie viel Beifall wir womöglich bekommen haben, entscheidend ist, wie sich die Verbindung anfühlt, jetzt, hier, in diesem Moment. Die einen tanzen pro Woche zwei Stunden, die anderen nahezu täglich. Die einen haben vorher andere Tänze ge- tanzt, die anderen sind blutige Tanzanfänger. Wie lange man tanzt, ist für die Qualität eines Tanzes so wichtig oder unwichtig wie für die Qualität eines Kusses maßgeblich ist, wie oft wir schon geküsst haben. Wichtig ist, hier und heute Spaß miteinander zu haben, einander zu genießen und großzügig zu sein, wenn etwas nicht klappt. Manche sind Naturtalente. Andere tun sich eher schwer. In der einen Tango-Umarmung, die wir gerade einnehmen, wollen wir uns wohl- fühlen dürfen, egal wie lange wir schon tanzen. Und (fast) egal wie.

 

 

"Wie lange tanzt du schon?" aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2017
Foto: tangokultur.info

 

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