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Tango Kolumne
Leistung, Leistung, Leistung...!

 

EINBLICKE IN DIE TANGOSZENE: TEIL 6 DER REIHE VON LEA MARTIN

Kolumne: Leistungsanspruch beim Tango Argentino tanzen

Tango ist eine Leidenschaft, aber auch ein Sport. Wie konnte ich einer Sportart verfallen...?! Mit Gruppenregeln, Gruppenzwängen...?!

 

In einer Boutique für Tango- und Ballettmode probiere ich Kleider, die mir nicht stehen, und schaue fasziniert der Verkäuferin zu, die kleinen Mädchen rosa Ballettröckchen verkauft und ihren Müttern den Unterschied zwischen Samba- und Tangoschuhen erklärt.

 

Wie jeder Sport fordert uns auch der Tango heraus, bis an unsere Grenzen zu gehen (und ein bisschen darüber hinaus). Eine meiner Grenzen ist mein leistungsorientierter Ehrgeiz, eine andere mein ausgeprägter Individualismus. Am Tango gefällt mir, dass es keine leistungsorientierten Abzeichen oder Medaillenkurse gibt. Die schlichte Unterscheidung in Angebote für Einsteiger, Basis, Mittelstufe und Fortgeschrittene entspricht meinem Wunsch, Tango als Ausgleich zu meinem (stressreichen, kopflastigen) Job zu sehen, als Entspannung, ohne übertriebenen Konkurrenzdruck. Dass manch Tanzlehrer seine Stunde mit dem Appell „Leistung, Leistung, Leistung!“ beendet, ist ironisch gemeint und wird auch so verstanden. Nach spätestens der dritten Übungsstunde haben alle verstanden, dass es im Tango gerade nicht um Leistung geht... oder gehen soll.

 

Wie schwer es ist, sich vom eigenen, inneren Leistungsanspruch zu befreien, wissen alle, die es versuchen. Auch ohne offizielle soziologische Studien über Tangotänzer/innen in Berlin ist zu vermuten, dass sie häufig einen beruflichen Hintergrund haben, in dem sie höchste Ansprüche an sich selbst stellen. Wenn meine persönlichen Feldforschungen zutreffen, neigen viele Tangotänzer/innen außerdem dazu, sich eher als Solitaire denn im Rudel zu bewegen. Wer Tango tanzt, findet sich rasch in einer Tango Community wieder, die geprägt wird von selbstbewussten schönen Frauen und Männern, die stundenlang hingebungsvoll über das Parkett kreisen und das Klischee vom tanzunlustigen deutschen Mann still und bravourös konterkarieren. Will ich zu dieser Community gehören...?!

 

Die Verkäuferin hält sich noch immer im Hintergrund. Ich habe inzwischen endlich etwas gefunden, das zu mir passt, und bin bereit, mich auch äußerlich zu meiner neuen Leidenschaft zu bekennen: durch einen Rock, der nach Tango aussieht, und Schuhe, in denen ich mich wohl fühle. Mit den Spurenelementen von Gruppensport werde ich schon fertig werden. Das werden die kleinen Mädchen beim Ballett schließlich auch.

 

 

"Leistung, Leistung, Leistung...! aus „Tango Dreams“

 

Alle Rechte (Text) bei Lea Martin, Berlin 2015

 

 

 

 

 

 

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