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Lea Martin

Man umarmt sich - und sagt nicht, was man denkt

Die Berliner Autorin Lea Martin hat die szenische Satire für Tango-Enthusiasten "Ein Tango kommt selten allein" von Andrej Togni besucht. Die Premiere fand im Kreuzberger Theaterforum statt. Hier ihre Besprechung:



Suene aus dem Theaterstück Ein Tango kommt selten allein


»Ich verspüre Genugtuung darüber, dass die Enkel meiner Henker in meinen Lesungen Schlange stehen«, soll der große israelische Satiriker Ephraim Kishon über seinen Erfolg in Deutschland gesagt haben. Ob es dem Schweizer Regisseur Andrej Togni ähnlich ging, als er am 19.01.2024 im Kreuzberger Theaterforum den Premierenapplaus für seine Satire »Ein Tango kommt selten allein« entgegennahm?


Nicht nur das Publikum, auch die LaienschauspielerInnen des Ensembles Tangomaxx sind in der Berliner Tangoszene zuhause. Man kennt sich, man umarmt sich — und sagt nicht, was man denkt. Eine der vergnüglichsten Szenen ist ein Tango, zu dem die Gedanken des Tanzpaars aus dem Off eingesprochen werden. Köstlich die Mimik und Körpersprache von Daniela Feilcke-Wollf, allen Tangotanzenden in Berlin als Veranstalterin, Lehrerin und DJane bekannt. Ihr komödiantisches Talent rettet über die Niederungen eines Handlungsstrangs, der nicht auf die Inszenierung innerer oder äußerer Dramen setzt, sondern auf bissige Bemerkungen zur seelischen Verfasstheit des Helden Maxx (»mit Doppel-X«), der an einer Tango-Sucht leidet, von der er geheilt werden will. Neben dem Helden, von Harald Diesner einigermaßen ratlos dargestellt, gibt es einen »angesagten Coach für paradoxe Interventionen« namens Pitigrilli, der zwar von Claude Mannewitz mit großem Engagement in Szene gesetzt wird, doch die Show seiner Auftritte gehört seiner Assistentin, gespielt von Yvonne Emig, die ihre Nebenrolle mit viel Witz zum Leben erweckt. Man muss belesen sein, um zu wissen, dass Pitigrilli das Pseudonym eines italienischen Schriftstellers war, der in den 1920er und 1930er Jahren als Verfasser umstrittener und mehrfach verbotenen Bücher bekannt war. Wenn man sich von Wikipedia aufklären lässt, dass seine Stärke »weniger der große Handlungsbogen, als das geistvolle, beißend zynische Aperçu« gewesen sei, mit dem er »die Geschlechterrollen und die Fixierung der Menschen auf das Sexuelle und die Fortpflanzung analysierte«, liegt die Vorbildfunktion für den Autor und Regisseur Andrej Togni auf der Hand. Auch er will die Fixierung der Tangoszene auf das Sexuelle kritisieren. Auch er bemüht »Aperçus« wie das vom »Pity-Tango«, den man gelegentlich tanze, um die Tangoszene zu entlarven.



Szene aus dem Theaterstück ein Tango kommt selten allein in Berlin


Pity-Tango? Das sei wie »Pity-Sex«, wird erklärt — während ich mich frage, ob ich die einzige bin, die nicht recht weiß, was sie mit dem Begriff anfangen soll. »Alles kommt auf ein Aperçu an. Es ist das Höchste, wozu es der Mensch bringt«, soll Johann Wolfgang von Goethe über den von Schiller 1797 ins Deutsche eingeführten französischen Terminus gesagt haben. Doch machen viele Aperçus noch kein gelungenes Stück. Vielleicht muss man das Vorgängerstück vom Tango-Maxx (»mit zwei X«, wie immer wieder betont wird) kennen, um zu verstehen, was die Zielscheibe des satirischen Angriffs des szenischen Schauspiels ist. Da ich das Stück nicht kenne, bleibt mir der Held so fremd, wie die Stoßrichtung des Autors. Migranten kommen in seiner Tango-Wahrnehmung nicht vor, Frauen spielen Nebenrollen. Mit der Tangowelt, wie ich sie erlebe, hat das kaum zu tun.


Die Stärke des Stücks liegt in witzigen Momentaufnahmen wie dem auf Sächsisch gesungenen Playback des Tangolieds »Guck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin« von Friedrich Holländer (1929) und der Spielfreude seiner SchauspielerInnen. Wer eine nachvollziehbare Handlung, überzeugende Charakter oder große Gefühle erwartet, wird enttäuscht. Für alle, die den intellektuellen Kitzel des Geistes durch akademische Anspielungen genießen, verspricht die szenische Satire einen vergnüglichen Abend. Für Tango-EnthusiastInnen sowieso. 



Text: Lea Martin

Fotos: David Hackländer


Info:


»Ein Tango kommt selten allein«, Satire von Andrej Togni. Gastspiel im Theaterforum Kreuzberg. Ensemble Tangomaxx. Premiere war am 19.01.2024. Die insgesamt drei Vorstellungen waren ausverkauft. Das Stück wird in Berlin voraussichtlich in einigen Monaten erneut aufgeführt.

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